RECHTSANWALTSKANZLEI JÜRGEN RAPP

Wie würden Sie eigentlich den Begriff \“Eisenbahn\“ definieren?

Einen Großteil des juristischen Studiums verbringen Studentinnen und Studenten damit, juristische Definitionen auswendig zu lernen, um so im Bedarfsfall, insbesondere einer Klausur, schnell und zuverlässig reproduzieren zu können, wie die Rechtsprechung wichtige Begriffe umschreibt und definiert, beispielsweise „Abfall“ („Abfall im Sinne des § 326 Strafgesetzbuch (StGB) ist jede bewegliche Sache, derer sich der Besitzer entledigen will, einschließlich ausgekofferten Bodens und in Behältern gefasster Flüssigkeiten oder Gase.“) oder „Nutztier“ („Ein Tier ist ein Nutztier, wenn es in erheblichem Umfang dem Beruf, dem Erwerb oder dem Unterhalt dient.“). Auch die Effizienz des juristischen Systems wird von der Sprache getragen. Um den enormen Anforderungen an Komplexität und Präzision Rechnung zu tragen, bedarf es einer kalkülartigen, abstrakten Fachsprache, die dadurch für den rechtsunkundigen Laien oftmals schwer oder gar unverständlich wirkt. Dies ist gerade im deutschen Recht besonders deutlich. So ist das Bürgerliche Recht mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) als zentraler Rechtsquelle von einem hohen Abstraktionsgrad gekennzeichnet, der für den Rechtskundigen (und nur für diesen?) eine Lösung für eine Vielzahl unterschiedlich konkreter Rechtsfragen bereithält. Der juristische Laie kann dies jedoch gerade wegen des Abstraktionsgrades und der speziellen Fachsprache oft nicht erfassen. Aber versuchen Sie sich doch selbst einmal: Wie würden Sie beispielsweise denn eine Eisenbahn definieren? Na, fertig? Das Reichsgericht hat Ihnen diese Denkaufgabe bereits abgenommen und am 17. März 1879 (RGZ 1, 247(252)) folgende Definition präsentiert: „Eine Eisenbahn ist ein Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtmassen beziehungsweise die Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Schnelligkeit der Transportbewegung zu ermöglichen bestimmt ist, und durch diese Eigenart in Verbindung mit den außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräften – Dampf, Elektrizität, tierischer oder menschlicher Muskeltätigkeit, bei geneigter Ebene der Bahn auch schon durch die eigene Schwere der Transportgefäße und deren Ladung usf. – bei dem Betriebe des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßig gewaltige, je nach den Umständen nur bezweckterweise nützliche oder auch Menschenleben vernichtende und menschliche Gesundheit verletzende Wirkung zu erzeugen fähig ist.“ Ein Witzbold hat daraufhin das Reichsgericht wie folgt definiert: „Was ist ein Reichsgericht? Ein Reichsgericht ist eine Einrichtung, welche dem allgemeinen Verständnis entgegenkommen sollende, aber bisweilen durch sich nicht ganz vermeiden haben lassende, nicht ganz unbedeutende beziehungsweise verhältnismäßig gewaltige Fehler im Satzbau auf der schiefen Ebene des durch verschnörkelte und ineinander geschachtelte Perioden ungenießbar gemachten Kanzleistils herabgerollte Definitionen, welche das menschliche Sprachgefühl verletzende Wirkung zu erzeugen fähig sind, liefert.“ (17.03.2022 ra).