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ARBEITSRECHT: Ohne Hinweis verjähren Urlaubsansprüche nicht mehr

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat noch kurz vor Weihnachten 2022 ein Urteil veröffentlicht, das sich für viele Arbeitnehmer als echtes Weihnachtsgeschenk darstellen könnte: Ohne ausdrücklichen Hinweis beginnt die Verjährungsfrist für Urlaubsansprüche nicht mehr automatisch mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Eine Arbeitnehmerin aus Düsseldorf hatte über mehrere Jahre in der Steuerkanzlei, in der sie angestellt war, offene Urlaubsansprüche angesammelt und der Arbeitgeber zahlte ihr nun bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses EUR 3.201,38 als Abgeltung für 14 Tage Resturlaub. Das reichte der Bilanzbuchhalterin bei weitem nicht, sie vertrat nämlich die Auffassung, dass noch weitere 76 Urlaubstage offen seien und verlangte weitere EUR 17.376,64 von ihrem ehemaligen Arbeitgeber. Doch dieser berief sich wegen der zusätzlichen Abgeltung darauf, dass der Anspruch bereits verjährt sei. Die obersten Arbeitsrichter entschieden nun, dass dies nicht der Fall sei. Und das nun ist der Knackpunkt an dem Urteil, dass das BAG kurz vor Weihnachten noch veröffentlichte. Denn die Richter entschieden zwar, dass Ansprüche auf den gesetzlichen Mindesturlaub der üblichen Verjährung gem. §§ 214 Abs. 1, 194 Abs. 1 BGB unterliegen. Die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB aber nicht automatisch mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem der Urlaub entstanden ist, sondern erst mit dem Ende des Jahres, nachdem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf den drohenden Verfall seiner Urlaubsansprüche ausdrücklich hingewiesen und in die Lage versetzt hat, den restlichen Urlaub auch zu nehmen. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass ohne Hinweis des Arbeitgebers auf die noch offenen Urlaubsansprüche die Verjährungsfrist nicht in Gang gesetzt wird (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20). Da dieses Urteil die bisherige Verjährung von Urlaubsansprüchen auf den Kopf und deutsche Betriebe vor große Probleme stellt, hat die Entscheidung große praktische Bedeutung. Denn ab sofort sollten Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer schriftlich über noch offene Urlaubsansprüche aus dem laufenden Kalenderjahr informieren und auf deren drohenden Verfall ausdrücklich hinweisen. Andernfalls beginnt die Verjährungsfrist nicht wie bisher mit dem Ablauf des Jahres zu laufen (09.03.2023 ra).

RECHT KURIOS: Stellt der Ausspruch „L.m.a.A.“ immer eine Beleidigung dar?

Man sollte zwar niemals verallgemeinern, aber diese Entscheidung des Amtsgerichts Ehingen halten wir dennoch für zumindest lesenswert. Das Gericht hatte den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeschuldigten, der in Ehingen ein Taxi-Unternehmen betrieben hat, abgelehnt. Im Januar 2009 bestellte gegen 13:10 Uhr eine Kundin telefonisch von ihrer Wohnanschrift in Ehingen aus ein Taxi auf 13:30 Uhr, weil sie am Bahnhof um 13:45 Uhr einen Zug nach Blaustein erreichen wollte. Leider traf das Taxi verspätet ein und die Betroffene verpasste ihren Zug. Daraufhin forderte sie den Taxi-Fahrer auf, sie für den Preis der Stadtfahrt nach Blaustein zu fahren, woraufhin der Fahrer erklärte, dies müsse dann wohl der Chef entscheiden, sodass die Betroffene mit dem Angeschuldigten telefonierte und verlangte, ohne Aufpreis nach Blaustein gefahren zu werden. Daraufhin soll der Angeschuldigte geantwortet haben: „Leck mich am Arsch“. Hierzu führte das Gericht dann Folgendes aus: Der bekannte Ausspruch „Leck mich am bzw. im Arsch“ habe seinen literarischen Ursprung bei Johann Wolfgang von Goethe im Schauspiel „Götz von Berlichingen“. Daher werde er häufig mit dem Euphemismus „Götz-Zitat“ umschrieben. Auch Wolfgang Amadeus Mozart habe eines seiner Lieder mit „Leck mich im Arsch“ (Köchelverzeichnis Nr. 231) bezeichnet. „Leck mich am Arsch“ habe vielfältige Bedeutungen und Deutungsmöglichkeiten, die Aussage reiche je nach Bildungsstand, Gepflogenheit, Herkunft, Landsmannschaft, Geschmack oder äußerem Anlass von der Ehrenkränkung und Beschimpfung über eine Verfluchung oder über Gefühlsausbrüche bei Schmerz, Freude oder Rührung bis hin zu einem Segensspruch.“ Es gebe Gerichte, die in der Aussage „Leck mich am Arsch“ eine strafbare Beleidigung gesehen hätten, so beispielsweise das Amtsgericht Berlin-Tiergarten (Berliner Zeitung, 14.09.1995) und wohl auch das Amtsgericht Weiden. Dieser Auffassung schließe sich das Amtsgericht Ehingen jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht an. Im vorliegenden Fall sei der Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB nicht erfüllt. Unter Beleidigung verstehe man einen rechtswidrigen Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung. In dem oben geschilderten Sachverhalt habe der Angeschuldigte die Betroffene nicht in ihrer Ehre herabgesetzt. Im schwäbischen Sprachraum werde „Leck mich am Arsch“ alltäglich verwendet. Es handele sich zwar um einen derben Ausspruch. Eine Herabwertung der Ehre des Gesprächspartners sei damit aber noch nicht verbunden. Thaddäus Troll („Preisend mit viel schönen Reden“, S. 214) habe dargelegt, dass das Götz-Zitat im Schwäbischen den folgenden sozialadäquaten Zwecken diene:

1. Ein Gespräch anzuknüpfen,

2. Eine ins Stocken geratene Unterhaltung wieder in Fluss zu bringen,

3. Einem Gespräch eine andere Wendung zu geben,

4. Ein Gespräch endgültig abzubrechen,

5. Eine Überraschung zu vermelden,

6. Um der Freunde über ein unvermutetes Wiedersehen zweier Schwaben außerhalb des Ländles Ausdruck zu geben,

7. Um eine als Zumutung empfundene Bitte zurückzuweisen.

Das Gericht schließe sich der Rechtsauffassung von Thaddäus Troll an. Im vorliegenden Fall hätten die Aspekte Nr. 4 und 7 im Vordergrund gestanden. Der Angeschuldigte habe auf die Forderung der Betroffenen nicht eingehen und das Gespräch beenden wollen. Ein strafbares Handeln des Angeschuldigten liege deshalb nicht vor, sodass das Gericht den Erlass eines Strafbefehls aus rechtlichen Gründen abgelehnt und entsprechend § 467 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) entschieden hat, dass die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last fallen. Ob dies heute noch so entschieden würde und auch für den Bereich anderer Amtsgerichte geltend würde, darf getrost bezweifelt werden. Also Vorsicht beim Ausspruch entsprechender Gefühlsausbrüche… (02.03.2023 ra).